Referenten zur Jahrestagung "Erinnern und Vergessen" am 10.03.2018

Prof. Dr. Annegret Eckhardt-Henn

  • Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie
  • Seit 01/2005 Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum Stuttgart – Krankenhaus Bad Cannstatt
  • Regelmäßige Lehrtätigkeit Fachgebiet PSM und PT, Johannes Gutenberg Universität Mainz
  • Regelmäßige Moderation von Fortbildungen, Dozentin am Mainzer Psychoanalytischen Institut
  • Vorsitzende des Psychosomatischen Ausschusses der Bezirksärztekammer Nord-Württemberg
  • Wissenschaftliche Tätigkeit
  • Mitarbeit in verschiedenen AWMF-Leitliniengruppen, Regelmäßige Reviewer-Tätigkeiten

Dissoziative Bewusstseinsstörungen

Die dissoziativen Bewusstseinsstörungen treten zu einem großen Anteil in der Folge komplexer Traumatisierung auf. Dissoziation wird als ein komplexer psychophysiologischer Prozess definiert, bei dem es zu einer teilweisen oder völligen Desintegration psychischer Funktionen, Wiedererin­nerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der unmittelbaren Empfindung, der Wahrnehmung des Selbst und der Umgebung kommt. Im Vordergrund steht also eine Störung des Bewusstseins, welche vielfältige Formen aufweist. Dissoziation ist damit zum Einen ein Prozess, psychodynamisch als Abwehrprozess oder besser als Abwehrfunktion verstanden, und auch ein Zustand der mit komplexen neurobiologischen und neuroendokrinologischen Stö­rungen verbunden ist. Mittlerweile gibt es zahlreiche empirische Arbeiten, bereits auch pros­pektive Studien, die diese Zusammenhänge belegen. Die Herausbildung eines zentralen integrie­renden Bewusstseins kann durch chronische Traumatisierung erschwert oder verhindert werden. Komplexe dissoziative Störungen können gegenwärtig als ein „Diathese-Stressmodell“ konzep­tualisiert werden, wonach die Erkrankung als psychobiologische Antwort auf schwere, in einem bestimmten Zeitfenster des Lebens (in der Kindheit erlittene Traumatisierung) verstanden wird. Ein inadäquates „Stress-Coping“ könnte zu rezidivierenden Gedächtnis­problemen führen, die sich als mnestisches Blockadesyndrom (Calabrese und Markowitsch, 2003) manifestieren und aus dem wiederholten überschießenden Freisetzen von Stresshor­monen auf Hirnebene resultieren. Die aktuellen Ergebnisse neurobiologischer und neuroendokrinologischer Prozesse werden dar­gestellt. Eine mögliche Verbindung mit psychodynamischen Kon­zepten wird aufgezeigt. Abschließend wird auf Konsequenzen für die spezifische Be­handlung von Patienten mit dissoziativen Bewusstseinsstörungen eingegangen.

Prof. Dr. Aleida Assmann

  • Kulturwissenschafterin Universität Kontanz

Erinnern und Vergessen nach 1945 und 1990

Nach politischen Systemwechseln kommt es bekanntlich zu einer neuen Konstruktion des kollektiven Selbstbildes von Staaten, zu einer radikalen Umordnung und Umbewertung des Wissens, sowie zu einer neuen Erzählung der nationalen Geschichte. Davon zeugen Denkmalstürze, die Umbenennung von Straßennamen und die Tabuisierung von Begriffen und Diskursen. Nach 1945 geschah dieser Wandel in Deutschland unter der Aufsicht der Alliierten, nach 1990 im Kontext der sich erweiternden EU. Erinnern und Vergessen findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen statt, die nicht leicht zu koordinieren sind und für Diskussion, Konflikt und Spannung sorgen: die Ebene der einzelnen Menschen mit ihrem Erfahrungsgedächtnis und ihrer Generationenzugehörigkeit, die Ebene der Gesellschaft, ihrer Medien, ihres Diskurses, und die der offiziellen Politik. Der Vortrag wird vergleichen, was in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus jeweils umgeschrieben, erinnert und vergessen wurde. Die These wird sein, dass nach 1990 nicht nur Erinnern und Vergessen die Plätze tauschten, sondern dass damals auch eine historisch neue Form des Erinnerns entstand, die die Zukunft Deutschlands und der EU weiterhin prägt.

 

Prof. Dr. phil. Meinolf Peters, Marburg

  • Diplom-Psychologe
  • psychologischer Psychotherapeut
  • Psychoanalytiker (DPG, DGPT)
  • Geschäftsführer Institut für Alterspsychotherapie und Angewandte Gerontologie

Erinnern und Vergessen – Zwei Pole der Psychotherapie älterer Patienten

Erinnern und Vergessen gelten als psychodynamische Prozesse, deren Verständnis eine wesentliche Grundlage der Psychotherapie besonders älterer Patienten ist. Dabei wird Erinnern positiv konnotiert, weil es als ein notwendiger Schritt zum Erreichen von Integrität betrachtet wird, die Erikson als Voraussetzung für ein gutes Altern betrachtet hatte. Vergessen hingegen wird eher mit Verleugnung und Verdrängung verknüpft und damit in einen pathologischen Kontext gerückt.

 

Doch sind diese Kennzeichnungen eigentlich angemessen, oder müssen wir nicht beides angesichts der Anforderungen, die das Alter stellt, differenzierter betrachten? Diese Frage soll Gegenstand des Vortrages sein. Eine besondere Bedeutung gewinnen Erinnern und Vergessen vor dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen. Dies soll, aufbauend auf dem Vortrag, Thema des Workshops sein.