Erinnern und Vergessen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

unser diesjähriges Tagungsthema wirft die Frage auf, ob sich unsere Gesellschaft an ihre Vergangenheit, an das erlebte Leid wie auch an ihre Täterschaft, erinnern will oder ein kollektives Vergessen organisiert? Wir müssen dazu nicht bis in die Nachkriegszeit zurückgehen, denn auch die politische Wende erinnert an Schmerzhaftes, das wir uns nicht gern vergegenwärtigen: das Erleben der DDR als diktatorischen und repressiven Staat und die Verunsicherung und Kränkung nach der Vereinigung Deutschlands, als der Verlust der im Osten geschaffenen menschlichen und materiellen Werte bewusst wurde.

 

Der Wunsch, Erinnerungen einfach auszulöschen, ist oft auch bei unseren traumatisierten Patienten anzutreffen, die mit körperlichen Beschwerden in die Sprechstunde kommen. Ihr Motiv ist die Behandlung der Beschwerden nicht die Aufarbeitung erlebter Traumatisierungen. Die mit dem Symptom verbundenen leidvollen Erinnerungen waren verschlossen und sollen es auch bleiben. Es ist ein schwieriges Unterfangen, Patienten in eine traumatherapeutische Behandlung zu bringen, und die Unsicherheit auszuhalten, wie viel Erinnern dem Patienten und neben dem Patienten auch dem Behandler zuzumuten ist.

 

Die eben aufgeworfene Frage: „Warum sollten wir uns erinnern wollen?“ legt nahe, dass es sich beim Erinnern wie auch beim Vergessen um einen aktiven Vorgang handelt. Bei der Behandlung von älteren Menschen wird dies mit der Verdachtsdiagnose Demenz häufig übersehen. Es kann sich bei den Erinnerungslücken aber auch um ein funktionelles Symptom handeln, das der Verdrängung traumatischer Erinnerungen und der Bewältigung aktueller Überlastungen dient. Therapeutisch gesehen müssten wir uns für das Vergessene interessieren, aber: will es der Patient und wollen wir das?

 

Wie immer gilt unser Dank dem Asklepios Fachklinikum Stadtroda, das unsere Tagung verlässlich unterstützt.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir möchten Sie damit herzlich zu unserer kommenden Jahrestagung einladen. Es wird am Vortag wieder die Möglichkeit der Balint-Gruppenarbeit und zur Tagung einen Büchertisch geben. Über Ihr Kommen würden wir uns sehr freuen!

 

Im Namen des Vorstandes mit herzlichen Grüßen,

Ihr Dr. Uwe Wutzler